A  2  Pluralisierung im Individuum. Späthumanistische Libertinage als Reaktion auf den frühneuzeitlichen Ordnungsverlust (1600-1700)
(Geschichte der Philosophie und Kultur in der Frühen Neuzeit)


ehemaliges Teilprojekt, weitergeführt als Kooperationsprojekt
A2 Bild
Seminar für Geistesgeschichte und Philosophie der Renaissance

Postadresse: Ludwigstr. 31/IV, 80539 München
Telefon: 089-2180-2266
Telefax: 089-2180-2907
www.phil-hum-ren.uni-muenchen.de/

Projektleiter

Prof. Dr. Martin Mulsow
martin.mulsow@lrz.uni-muenchen.de

Mitarbeiter

Dr. Olaf Simons, wiss. Hilfskraft

Susanna Reger, M.A. (Vertretung im Zeitraum 1.9.02—28.2.03)

Ardalan Ibrahim, stud. Hilfskraft

Andreas Fichtner, stud. Hilfskraft

Rückschau

Vorträge der Projektleiter/Mitarbeiter

Projektbeschreibung

Gegenstand des Projekts ist Traktatliteratur diverser Disziplinen des 17. Jahrhunderts, die Momente mehrdeutiger, ironischer, ambivalenter oder widersprüchlicher Rede in sich enthält: von iocoseria-Texten aus dem akademischen Milieu über menippeische Satitrik bis zu skeptisch-libertinen und sich bewußt hinter Widersprüchen verbergenden radikalen Werken. Diese Texte sollen als einheitliches Phänomen im Hinblick auf die Krise der Pluralisierung gedeutet werden. Mehrdeutigkeit taucht, so die These, dort auf, wo pluralisierte Erfahrungen und Weltsichten nicht mehr integriert und auf ein einheitliches System reduziert werden. 'Libertinage érudit' ist dann nicht mehr wie bisher nur als Proto-Aufklärung zu verstehen, sondern zunächst als Ausdruck einer Weigerung vor neuer Autorisierung. Damit wäre ein Punkt gefunden, von dem aus die Frage nach der Möglichkeit der Kopräsenz von Wissensbeständen in einzelnen Individuen angegangen werden kann: Indem die untersuchten Texte auf ihre historischen und politischen Kontexte bezogen werden, wird idealiter sichtbar, welche Funktionen skeptisch oder ironisch 'ausgehaltene' Pluralität jeweils im Handeln haben konnte: ob handlungsermöglichend etwa in der Pragmatik des Alltags bei gelehrten Politikern oder handlungshemmend etwa im Rückzug auf private Sodalitäten. In der jetzigen zweiten Phase des Projektes steht die venezianische Accademia degli Incogniti im Mittelpunkt, eine Akademie des mittleren 17. Jahrhunderts mit libertinistischer Ausrichtung. Das Projekt wird von Einzelstudien ausgehen, dann eine möglichst vollständige Erfassung der Primärquellen anstreben und in seiner letzten Phase die größeren Fragen historischer Psychologie nach den Merkmalen frühneuzeitlicher Personalität in den Blick nehmen.

Zur Zeit sind in Arbeit:

  1. Eine kommentierte Edition von Johann Georg Wachter: Theologia Martyrum (1712), Ms. Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, and dem sich zeigen läßt, wie unterschiedlichste, pluralisierte Traditionen wie Spinozismus einerseits und Logos-Theologie andererseits mit bestimmten Textstrategien verbunden werden konnten.
  2. Eine Edition und Übersetzung der handschriftlich erweiterten "Apologia pro Vanino" von Peter Friedrich Arpe, Ms. Theol 1222 der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, ein Text, bei dem kontrovers ist, ob er in der Art eines paradoxen Enkomions nur vorgibt, einen Atheisten zu "retten", oder ob er dies wirklich intendiert.
  3. Eine Monographie mit dem Arbeitstitel "Der Philosoph mit der Maske. Dissimulation, Inkohärenz und Libertinage in der Frühen Neuzeit", die sich aus Einzelstudien innerhalb des Projektes zusammensetzen wird.
  4. Eine Edition und Übersetzung des anonymen "Ineptus religiosus" (1652) samt einer parallelen Edition und Übersetzung von Johann Balthasar Schupps "Ineptus orator". Die Texte zeigen den Übergang von Burleske zu Libertinage.
  5. Eine kommentierte Übersetzung von: François La Mothe Le Vayer: Von den seltenen und vorzüglichen Eigenschaften der Esel unserer Zeit (zusammen mit Martin Schmeisser aus Teilprojekt A1. Der Text ist ein doppelbödiges paradoxes Enkomion, in dem zahlreiche relativistische, skeptische und libertinistische Ansichten transportiert werden.
  6. In Zusammenarbeit mit Teilprojekt C7 (Rohls) werden eine Reihe von Studien im Bereich Sozinianismus und Arminianismus des 17. Jahrhunderts vorgenommen. Vom Teilprojekt A2 aus besteht ein besonderes Interesse an den "dialogischen" Schreibstrategien mancher arminianischer bzw. sozinianischer Texte, die auf diese Weise hypothetische oder experimentell geäußerte Ansichten vermitteln wollen. Im Juli 2002 wurde eine gemeinsame Konferenz durchgeführt: "Socinianism and Cultural Exchange. Arminian and Antitrinitarian Networks in Europe 1650—1720",deren Ergebnisse demnächst auf Englisch publiziert werden. Längerfristig geplant ist weiterhin in diesem Rahmen ein Arbeitsbuch Sozinianismus/Arminianismus sowie eine Edition der Korrespondenz Samuel Crells.
  7. Für die kommenden Jahre ist eine Monographie mit dem Titel "Eine Kulturgeschichte der Wahrheit. Venedig 1650" angestrebt, in der die Accademia degli Incogniti und ihre Repräsentationsformen von Wahrheit in Philosophie, Literatur und Kunst im Mittelpunkt stehen werden.

Weiterhin ist an das Teilprojekt ein Editionsvorhaben angeschlossen, das auf längere Zeit berechnet ist und das Reisejournal von Gottlieb Stolle (1703/4, Universitätsbibliothek Breslau) zugänglich machen soll. Das Reisejournal ist eine unschätzbare Quelle für das intellektuelle Milieu in Mittel- und Norddeutschland an der Wende zum 18. Jahrhunderts und soll auch den anderen Teilprojekten, etwa B1, B3, B4, C7 zugute kommen.

Für Einzelheiten siehe
www.pierre-marteau.com/

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